Viele Fußballfans, die in den sozialen Netzwerken aktiv sind, tendieren gerne dazu die Vergangenheit hochleben zu lassen, gerade wenn es mit dem eigenen Verein bergab geht. Man könnte daher meinen, dass “Thomas Tuchel – die Biografie” der beiden Journalisten Daniel Meuren und Tobias Schächter aktuell dazu prädestiniert wäre, das Schwelgen in der Vergangenheit zu verstärken.
Selbstverständlich war Thomas Tuchel ein Glücksfall für den FSV Mainz 05 – genauso wie es Jürgen Klopp war, auf den in diesem Buch ebenfalls an einigen Stellen ausführlich eingegangen wird. Schließlich folgte Tuchel indirekt auf Klopp in Mainz und direkt in Dortmund. Selbst als Trainer von Paris St. Germain und Liverpool begegneten sich beide bereits in der Champions League. Beide eint zudem der Karrierestart als Bundesliga-Trainer bei unserem FSV.
Die Vorzeichen beim Lesen dieses Buch standen folglich auch bei mir auf “Früher war alles besser”, doch ich wurde eines besseren belehrt. Natürlich geht es Mainz 05 derzeit tabellarisch schlecht und bei Thomas Tuchel denke ich in erster Linie an den famosen Bundesliga-Auftakt 2010 mit sieben Siegen in Folge. Bei Klopp denke ich natürlich erstmal an den ersten Bundesliga-Aufstieg überhaupt von Mainz 05. Ich denke umgekehrt bei ihm weniger an den Start in die Bundesliga-Saison 2005/06 mit fünf Niederlagen oder an den Abstieg mit ihm 2007. Dieses Alleinstellungsmerkmal hat er bis dato für sich alleine – das schaffte bisher weder Martin Schmidt, noch Sandro Schwarz oder Achim Beierlorzer; Kasper Hjulmand sowieso nicht, da er als einziger Bundesliga-Trainer von Mainz 05 gar nicht am letzten Spieltag auf der Bank saß. Und bei Tuchel denke ich eher nicht an das bittere Aus im Elfmeterschießen in Medias, das in dem Buch ebenfalls ausführlich Erwähnung findet, oder die Pleite im Viertelfinale des DFB-Pokals in Kiel – beides im Jahr 2011.
Je mehr Kapitel ich aufsog, desto mehr zog mich dieses Buch, was Mainz 05 betrifft, wieder hinauf. Zum einen, weil so viele Weggefährten von Tuchel zu Mainzer Zeiten zu Worte kamen und ihre reflektierte Sicht auf den Trainer gerne zu Papier bringen ließen, zum anderen weil ich für mich ein klareres Bild malen konnte, wieso Tuchel 2014 seinen Job bei Mainz 05 an den Nagel hängte – so alles andere als spontan übrigens.
Dass Mainz 05 mit dem Menschen Thomas Tuchel ab und an viel zu knabbern hatte, wird in dem Buch mehr als deutlich. Und so kommen auch Personen zu Wort, die nicht mit dem eigenen Namen in der Danksagung am Ende des Buchs stehen möchten. Für mich als Fan zeigt das Buch, dass es auch damals nicht die schöne heile Mainz 05-Welt gab. Wie so oft ist das alles keine Schwarz-Weiß-Malerei gewesen. Christian Heidel hat diesbezüglich da große Arbeit geleistet – aber auch Heidel war nicht der personalisierte Jesus vom Rhein, wie ihn viele Fans in der Nachbetrachtung vergöttern.
Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Post-Heidel-Strutz-Strukturen dem Verein tatsächlich gut tun. Ein Rouven Schröder steht heute unter viel größerer Beobachtung als es bei Heidel je der Fall war. Auch das kann ich aus dem Buch herauslesen. Ähnliches gilt natürlich für Jan Lehmann und in gewisser Weise auch für Stefan Hofmann – schließlich gibt es mittlerweile einen Aufsichtsrat beim Fußballsportverein.
Ich habe durch das Buch den Eindruck gewonnen, dass zu dieser Zeit die damalige Konstellation einfach optimal war: Ein Christian Heidel, der in der Lage war, einen Thomas Tuchel so zu behandeln, dass dieser von 2009 bis 2014 für den Verein tatsächlich das Optimum herausholte, ohne dass Heidel sich vor irgendjemandem rechtfertigen musste. Aber ich merkte beim Lesen auch, wie wenig Lust bei Tuchel vorhanden war, sich auf den Verein mit seinen Menschen einzulassen – das kam noch stärker bei seinem Wirken in Dortmund zum Vorschein und da freue ich mich tatsächlich auf die nächste Zeit mit Jan-Moritz Lichte, dem ich es abnehme, sich mit dem Verein zu identifizieren und mit der Mannschaft das Ziel Klassenerhalt anzugehen. Und was die Fußballkompetenz von Lichte angeht, sehe ich da angenehme Parallelen zum perfekt portraitierten Thomas Tuchel, der leider selbst zum Buch nichts beitragen wollte.
Über das Buch:
Titel: Thomas Tuchel – Die Biografie
Autoren: Daniel Meuren, Tobias Schächter
Verlag: Die Werkstatt GmbH
Softcover-Buch: 19,90 € bzw. e-book: 14,99 €
192Seiten
ISBN: 978-3730704660 (Print)
Erscheinungstermin: 16. April 2020
Bestellbar überall wo es Bücher gibt und online zum Beispiel bei „buch7“, dem sozialen Buchhandel. Durch den Kauf bei „buch7″ spendet das Unternehmen zwischen 0,70 € und 1,29 € – abhängig von der aktuellen Geschäftsentwicklung – an soziale Projekte.
Erinnert Ihr Euch noch an die Traumbundesliga? In dieser hauptsächlich auf Twitter gezwitscherten Zusammenstellung füllten Fußballfans die 18 Plätze mit ihren Wunschvereinen. Daher auch der Name Traum…
Jetzt wissen wir alle, dass es bei der Bundesliga nur ums Geschäft geht. Um finanzielles Fairplay geht es dabei relativ wenig. Die DFL schaut in ihrer Lizenzierung hauptsächlich darauf, dass der Spielbetrieb in der nächsten Saison durch die sich sportlich qualifizierten Teilnehmer garantiert ist. Allerdings hat die Mitgliederversammlung der DFL im Dezember 2018 beschlossen, Club-Finanzkennzahlen zu veröffentlichen. Diese stehen seit 29. Mai 2019 öffentlich zur Verfügung. In der Wirtschaft also auch in der 1. Liga sollten Kennzahlen eine wichtige Rolle spielen, wenn es um Entscheidungen geht, die den Club beeinflussen. Kaufe ich den Spieler A, verkaufe ich den Spieler B, investiere ich in Steine etc.? Wichtig ist auch immer diese Kennzahlen im Vergleich zu anderen Clubs zu sehen, um zu erkennen, wie man so dasteht, als Verein, rein finanziell gesehen. Um eine solche Finanz-Bundesliga-Tabelle zu erstellen habe ich die Daten aller 18 Bundesligisten der Saison 2018/19 sowie der drei Aufsteiger, die 2019/20 dabei sind, analysiert. Bilanzstichtag war entweder der 30. Juni oder der 31. Dezember 2018.
Aus den folgenden von der DFL
veröffentlichten Kennzahlen habe ich die weiter unten stehenden
Unternehmenskennzahlen hergeleitet.
Daraus habe ich die folgenden Unternehmenskennzahlen hergeleitet und Tabellen erstellt – jeweils die vier ersten Vereine (CL-Teilnehmer) und die drei letzten Vereine (Absteiger – Relegation ist Mist) habe ich genannt und natürlich Mainz 05. Wer die Excel-Tabelle sehen möchte, einfach Bescheid sagen:
Anlagendeckungsgrad (Eigenkapital zu Anlagevermögen)
Je höher der Deckungsgrad, desto besser steht es um die Finanzierung des Clubs. Der 1. FC Nürnberg und Hertha BSC haben negatives Eigenkapital, sprich die Clubs sind eigentlich überschuldet (gleiches gilt für die Aufsteiger Union Berlin und SC Paderborn). Der FC Augsburg (17 Mio. Euro), RB Leipzig (36 Mio. Euro) und der 1. FSV Mainz 05 (3 Mio. Euro) haben Investitionszuschüsse (wahrscheinlich für das jeweilige Stadion) erhalten, die man dem Eigenkapital zurechnen kann. Ich habe diese Zuschüsse weggelassen, um eine bessere Vergleichbarkeit zu erzielen. Dass allerdings der Zuschuss bei RB Leipzig größer ist als das restliche Eigenkapital von 27 Mio. lässt aufhorchen:
1. SC Freiburg 2. TSG Hoffenheim 3. Borussia Dortmund 4. FC Bayern München … 6. 1. FSV Mainz 05 … 16. FC Schalke 04 17. 1. FC Nürnberg 18. Hertha BSC
Eigenkapitalquote (Eigenkapital zu Bilanzsumme)
Je höher die Quote desto mehr finanzielles Engagement bringt der eigene Club auf.
Eigenkapitalrendite (Jahresüberschuss zu Eigenkapital)
Die Kennzahl klärt, ob es sich für den Club finanziell lohnt, den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Da Schalke den größten Jahresüberschuss zu verzeichnen hat, liegt der Club ganz vorne. Mit fast 40 Mio. Überschuss überflügelt Schalke den FC Bayern um 10 Mio. Euro. Dass Christian Heidel alles falsch gemacht hat auf Schalke ist somit aus finanzieller Sicht widerlegt. Interessant sind die Jahresüberschüsse von 0 Euro von Bayer 04 Leverkusen und dem VfL Wolfsburg. Während die knapp 18 Mio. Überschuss von Bayer 04 an so genannte „andere Gesellschafter“ gewandert sind, haben diese „anderen Gesellschafter“ beim VfL Wolfsburg den Verlust von 19 Mio. einfach ausgeglichen. Interessant auch die „Ergebnisabführung an atypisch stillen Gesellschafter“ bei der TSG Hoffenheim in Höhe von 27 Mio. Euro. Einen Verlust haben Hertha BSC, Borussia Mönchengladbach, der SC Paderborn und der VfB Stuttgart erwirtschaftet:
1. FC Schalke 04 2. Fortuna Düsseldorf 3. FC Augsburg 4. Eintracht Frankfurt … 7. 1. FSV Mainz 05 … 16. Borussia Mönchengladbach 17. VfB Stuttgart 18. 1. FC Nürnberg
Personalaufwandsquote (Personalaufwand/Umsatz)
Geld schießt Tore. Hier geht es allerdings um Umsatz, der mit dem vorhandenen Personal erwirtschaftet wurde. Daher gilt hier, je niedriger die Quote, desto besser wirtschaftet der Club. Da ich auch die Aufsteiger mit in die Analyse hinein genommen habe, zeigt sich, dass der SC Paderborn hier ganz schlecht abschneidet, sogar schlechter als der VfL Wolfsburg. D.h. finanziell ist der Aufstieg von der 3. in die 2. Liga gar nicht so ein Zufall gewesen. Die Frage, ob der Aufstieg in Liga 1 auch kein finanzieller Zufall war, lässt sich erst nächstes Jahr beantworten, wenn die Bilanz 18/19 veröffentlicht ist:
Die Zahl sagt aus, wieviel Prozent des Umsatzes als Gewinn verbleiben, sprich wie finanziell erfolgreich der Club in der Saison war:
1. FC Schalke 04 2. SC Freiburg 3. FC Augsburg 4. 1. FC Nürnberg … 10. 1. FSV Mainz 05 … 16. Borussia Mönchengladbach 17. Hertha BSC 18. VfB Stuttgart
Verschuldungsgrad (Fremdkapital zu Eigenkapital)
Je höher der Grad ist, desto abhängiger ist das Unternehmen von externen Gläubigern. Bei negativem Eigenkapital, wie es beim Glubb, bei Union, bei Hertha und bei Paderborn der Fall ist, lässt sich das gar nicht messen. Daher fallen diese Clubs hier raus:
1. TSG Hoffenheim 2. SC Freiburg 3. Borussia Dortmund 4. FC Bayern München … 7. 1. FSV Mainz 05 … 15. RB Leipzig 16. VfL Wolfsburg 17. FC Schalke 04
Doch was zählt schon ein „Spieltag“, sprich eine Unternehmenskennzahl. Der Kicker hat bspw. nur den Jahresüberschuss analysiert. Dieser ist kurzfristig. Die von mir genutzten Kennzahlen spiegeln kurzfristige und längerfristige finanzielle Kriterien wieder. Die Abschlusstabelle „lügt“ nicht, wie wir alle wissen 😉
Daher habe ich die sechs Unternehmenskennzahlen jeweils mit 0 bis 3 Punkten bewertet. Natürlich ist das ganze rein subjektiv. Doch letztlich ergibt sich ein gutes Bild, wie es um das finanzielle Gebaren der Clubs untereinander aussieht, wer gut wirtschaftet, wer mit Geld zugeschüttet wird und wer sogar Geld abdrücken muss, weil er vorher jahrelang sehr großzügig alimentiert wurde.
Anlagendeckungsgrad > 1 3 Punkte für: SCF, TSG, BVB, FCB > 0,5 2 Punkte für: B04, M05, FCA, SGE, KOE, F95, H96, BMG >0 1 Punkt für: VFB, WOB, SVW, RBL, S04 <0 0 Punkte für: FCU, FCN, BSC, SCP
Eigenkapitalrendite > 1 3 Punkte für: S04 > 0,1 2 Punkte für: KOE, F95, FCA, SGE, RBL, SCF > 0 1 Punkte für: M05, BVB, SVW, FCB, H96, = 0 1 Punkt für B04 da Gewinn nach Steuern vor Ermittlung des Jahresüberschusses < 0 oder nicht berechenbar 0 Punkte für: SCP, BSC, TSG, WOB, FCU, BMG, VFB, FCN
1. SC Freiburg 15 Punkte 2. Borussia Dortmund 13 Punkte 3. FC Augsburg 12 Punkte 4. TSG Hoffenheim 11 Punkte 5. FC Bayern München 10 Punkte 5. 1. FSV Mainz 05 10 Punkte 5. FC Schalke 04 10 Punkte 8. Bayer 04 Leverkusen 9 Punkte 9. Eintracht Frankfurt 8 Punkte 9. Fortuna Düsseldorf 8 Punkte 11. RB Leipzig 7 Punkte 12. Hannover 96 5 Punkte 13. SV Werder Bremen 4 Punkte 13. Borussia Mönchengladbach 4 Punkte 15. 1. FC Nürnberg 3 Punkte 16. VfL Wolfsburg 2 Punkte 16. VfB Stuttgart 2 Punkte 18. Hertha BSC 1 Punkt
Die Aufsteiger, die ja 2017/18 in der
1. Liga (KOE), in der 2. Liga (FCU) bzw. in der 3. Liga (SCP)
gespielt haben, erzielten folgende Punktzahlen:
1. FC Köln 10 Punkte (wäre Platz
5) FC Union Berlin 2 Punkte (wäre Platz 16) SC Paderborn 0
Punkte (wäre Platz 18)
Fazit: Der SC Freiburg wird oft als sympathischster Verein Deutschlands wahrgenommen – vielleicht auch wegen des finanziell seriösen Auftretens? Der einzige an der Börse gehandelte Verein Borussia Dortmund zeigt, dass man als Kapitalgesellschaft transparent wirtschaften muss und das auch finanziell Erfolg bringt. Die TSG Hoffenheim wurde von Dietmar Hopp seriös finanziell aufgestellt. Dass der FC Bayern und Mainz 05 gleichauf liegen, zeigt, dass man sich in seinem finanziellen Level jeweils seriös bewegt. Dass bei Wolfsburg finanziell einfach unter die Arme gegriffen wird, zeigt die Bilanz – Bayer 04 hingegen muss Geld abdrücken. Interessant wäre es zu wissen, wenn B04 mal wirtschaftlich nicht so gut dasteht, ob dann entsprechende Gelder in den Club fließen. Dass Berlin arm aber sexy ist, wird hier doppelt unterstrichen.