Nachdem mir SARS im letzten Jahr auf meiner größeren Reise einen Strich durch Rechnung machte und ich Vietnam genauso wie Singapur nicht besuchen konnte, habe ich es nun doch noch in diese Ecke der Welt geschafft.
Da ich es mittlerweile ein wenig satt habe, mich als Sardine in einem Bus einmal um unseren Planeten durchzuquetschen bzw. herumzureisen, entschloss ich mich dieses Land genauso wie das Nordkap mit dem Rad zu entdecken. Da mir auf dem Rückflug vom nördlichsten Punkt Kontinentaleuropas das Rad doch arg beschädigt wurde, schraubte ich den Drahtesel vor Reiseantritt auseinander und verpackte ihn in einer Tasche. So geschützt kam das Ding dieses Mal heil und gemeinsam mit mir in Hanoi, der Hauptstadt Vietnams an. Das Wetter ähnelte dem damals in Helsinki, denn es beim Landeanflug sah ich nichts außer Wolken und Nebel. Im Hotel angekommen war ich dann dankbar, an meine Stirnlampe gedacht zu haben, denn erstens nahm ich das fensterlose Zimmer im Erdgeschoss, um das stählerne Ross nicht in den x-ten Stock schleppen zu müssen und zweitens war gerade einmal Stromausfall, so dass ich im Kerzenschein und Licht der Stirnlampe meine Fahrrad wieder zusammenschrauben durfte.
Danach ging es auf eine erste Erkundungstour durch die Stadt. Als erstes lernte ich die einzige Regel, die es auf Vietnams Strassen gibt: Es gibt KEINE Regel! Höchstens ein Kastensystem in dem man als Radfahrer ziemlich weit unten angesiedelt ist. Dadurch läuft das Radeln aber ganz einfach ab: Man muss lediglich am besten am Fahrbahnrand entlang rollen, jederzeit gefasst darauf sein, dass aus der Seitenstrasse ein „Lebewesen“ einer höheren Kaste, sprich Moped oder Auto auftaucht, und garantiert keine Anzeichen macht, dass es schon einmal etwas von rechtmäßiger Vorfahrt gehört hat. Weiterhin muss man immer darauf gefasst sein, dass man links und rechts überholt wird, aber das kann man auch ganz schnell ins Aktive umsteuern und links und rechts überholen, so dass man ein wenig das Geschehen selbst in die Hand nehmen kann. Einbahnstrassen existieren aber nur auf dem Schild, Geisterfahren gehört hierher wie der Stau zu deutschen Autobahnen. Auch hier bahnt sich immer ein Stau an, dem aber gut auf dem Bürgersteig ausgewichen werden kann: als Radler aber auch als Motorradfahrer!
Linksabbiegen ist in Hanoi als Radler etwa so einfach wie in Deutschland günstiges Benzin zu erhalten. Allein schon das Orientieren zur Straßenmitte hin ist fast unmöglich, da man in den Strudel von Mopeds, Pkws, LKWs und Bussen gezogen wird und in die Hauptverkehrsfluss gezogen wird, der meist geradeaus verläuft. Aus diesem Strudel ohne Absteigen hinauszugelangen ist meist eine Mission Impossible. Was ich allerdings für unmöglich gehalten hätte, ist die Tatsache, dass es hier Fahrradwege gibt! Diese werden zwar meist von Fußgängern genutzt, da die Buergersteige mit Waren voll gestellt sind, aber es hat doch jemand an diese Spezies Mensch gedacht, die sich auf zwei Rädern ohne Motor durch die Welt bewegen möchte.
Das sich Fortbewegen funktioniert beim Befolgen der genannten Regel aber wunderbar, so dass es ein Vergnügen war, diese Stadt aus dem Sattel zu erkunden. Die Stadt ist ein kleines Finnland, da zahlreiche Seen das Areal durchziehen. Am Ufer kann man wunderbar dem nur wenige Meter entfernten Straßenchaos entfliehen. Morgens um sechs machen die VietnamesInnen ihre Morgengymnastik um fit in den Tag zu starten.
Eigentlich ist Vietnam ja ein kommunistisches Land, was ich den ganzen Tag über meist am roten Stern erkenne, der viele Plattenbauten a la DDR ziert. Aber auch die riesigen überdimensionierten olivgrünen Schirmmützen der Offiziellen ähnelt an als Sowjetzeiten. Und dann ist da noch der Staatsgründer Ho Chi Minh, der das Land nach dem 2. Weltkrieg gegen die Widerstand der Franzosen in die Unabhängigkeit führte: Gegen seinen Willen wurde auch Ho einbalsamiert und könnte selbst nach seinem Tod vor mehr als 30 Jahren mittlerweile ein stattliches Vielflieger-Konto aufweisen, da er jährlich im September aus dem Mausoleum in Hanoi nach Moskau fliegt um dort genauso wie Lenin für das folgende Jahr präpariert wird um dann Anfang Dezember wieder nach Hanoi zurückzufliegen.
Aber sonst ist vom Kommunismus nicht viel zu spüren, da seit mehr als 10 Jahren Privateigentum legal ist und jede(r) seinen Mini-Business aufgebaut hat. Dementsprechend ist Hanoi voll von kleinen und kleinsten Läden die alles anbieten, was das Shoppingherz höher schlagen lässt. In jeder Gasse der Altstadt, die dank der vielen französischen Kolonialbauten wie eine französische Kleinstadt nach Südostasien versetzt aussieht, gab es früher eine andere Warengattung zu kaufen. Je nach dem was es dort gab, bekam die Strasse ihren Namen. Ein bisschen ist davon auch noch heute geblieben: So gibt es eine Gasse ausschließlich mit vietnamesischen Fußballtrikots und Fahnen oder eine andere Gasse bietet ausschließlich Brillen an. Überall wird Bia Hoi, Fassbier angeboten. Für 3.000 Dong oder 15 Cents gibt es einen Drittelliter süffigen Gerstensaftes, der in rauen Mengen konsumiert natürlich zum Mega-Dong für wenig Dong führen kann.
Da ich aber nicht wegen des Mega-Dong hierher geflogen bin, kehrte ich der Hauptstadt bald den Rücken um das Land zu erstrampeln. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich aus einer tropischen Megametropole hinaus aufs Land finden. Zwei Dinge erleichterten mir diese nicht ganz einfache Aufgabe: Dank der Franzosen fährt die Mehrheit der VietnamesInnen auf der rechten Seite, so wie der bundesdeutsche Ottonormalverbraucher. Zweitens haben die VietnamesInnen bzw. Franzosen vor langer Zeit beschlossen lateinische Schriftzeichen statt chinesischer zu nutzen, so dass ich die sporadisch vorkommenden Verkehrsschilder lesen kann. Aber diese Schilder kommen in der Innenstadt Hanois etwa genauso oft vor, wie Jubelgeschrei von Fans des VfL Wolfsburg – d.h. gar nicht 😉
Aber irgendwann habe ich mit Hilfe der Karte die Hauptausfallsstrasse gefunden und konnte mich mit der Strömung stadtauswärts treiben lassen. Nach 20 Kilometern war dann die Metropole hinter mir und das Land hatte mich für sich. Kam ich mir wegen Baguette, Croissants, Bonjour und Cafekultur in Hanoi schon wie in einem französischen Überseedepartement vor, so wurde es auf der Landstrasse dank der weiß-roten Kilometermarker nicht anders. Alle 100 Meter wusste ich wieweit ich es schon geschafft hatte und irgendwann merkte auch mein Magen, dass wir gemeinsam weit gekommen sind. Auf der Fahrt durch Reisfelder in Richtung Tonkinschen Alpen westlich von Hanoi machte ich an einem Straßenrestaurant halt, dass mir den Eindruck machte, dass mich vielleicht jemand verstehen würde, da es durch die Terrasse und das Strohdach doch sehr touristisch aussah. Weit gefehlt – keiner konnte Englisch oder Französisch. Aber aus der Schublade kramte die Bedienung einen MARCO POLO Führer Vietnam hervor und deutete auf „Ga“ (Huhn) und „MIEN“ (Nudeln) im Sprachführerteil. Ich dachte noch, Glück gehabt aber irgendwie wurde das Essen doch noch zum Spießrutenlauf! Zunächst wurde mir noch ein feuchtes Handtuch (Oshi Bori) gereicht, was prima war, denn ich der Strassendreck klebte mir an den Händen. Dann wurden mir grüne minigurkenähnliche Gemüse gereicht. Dazu wollte meine Bedienung gleich noch ein HEINEKEN Bier aufmachen, was ich im letzten Moment durch den Schrei „COCA COLA, PEPSI!“ verhindern konnte. Alles nur kein Alk während dem Radeln! Dafür bekam ich aber auch alles: Zunächst beides: COKE und rote PEPSI! Dann kam das GA, also das Huhn auch als ALLES! Mit der Schere schnitt die Bedienung dem gekochten und gerupften Huhn das eigentlich nur aus Haut und Knochen bestand den Hals ab, die Füße weg und den Kopf entzwei. Dann kamen die Glasnudeln die mit Pilzen und wohl anscheinend Hühncheninnereien angereichert wurden. Huh zum Glück kam der Reis ungarniert und nun hatte ich die Qual der Wahl. Na ja ich probierte alles und hielt mich mit meinen Stäbchen an den extrem klebrigen Reis und die fettigen Glasnudeln. Das Hühnchen probierte ich ein wenig und entschied es seinem weiteren Schicksal selbst zu überlassen. Das grüne Gemüse war auch genießbar und so wurde wieder einmal ganz schnell zum Vegetarier.
Wassermelonen füllten dann meinen zum Bersten vollen Magen, denn von dem Mahl hätte wohl die halbe Meenzer 05er Mannschaft satt werden können. Dann ging es leider im Platzregen weiter und ich machte zum ersten Mal Bekanntschaft mit einigen Regenarten, wie es Forrest Gump im gleichnamigen Film beim Stichwort VIETNAM erzählt: Sprühregen, Platzregen, Dauerregen, Landregen und auch noch Regenschauer!
Jetzt bin ich im Trockenen und hoffe, dass diese Mail ihre Empfänger erreicht – denn der gestrige Entwurf ist irgendwie gelöscht worden, so dass ich alles noch einmal schreiben durfte!
Ich wünsche Euch einen schönen ersten Advent und viel Spaß beimGlühweintrinken und Bayern gegen Mainz gucken!