„Aufhören wenn’s am schönsten ist“ – so nannte ich meinen Kommentar im Mai 2017, nachdem sich Mainz 05 von Martin Schmidt getrennt hatte. „Merci Martin“ las ich damals in vielen Kommentaren. Ein „Danke Sandro“ ist bisher weit weniger zu lesen. Doch den bisherigen Verlautbarungen nach zu urteilen wurde auch dieses Mal die Zusammenarbeit im gegenseitigen Einvernehmen beendet. Mainz bleibt: sich treu!
Anders als bei der Trennung von Martin, die nach dem Ende einer turbulenten Saison erfolgte, heißt es jetzt Mitten in der Hinrunde Abschied zu nehmen. In den Wochen vor dem Abschied von Martin war ich ein große Befürworter, ihn nicht während der Saison nach dem damaligen Spiel in Freiburg zu entlassen. Was hätte es damals noch groß gebracht, außer bloßen Aktionismus an den Tag zu legen?
Diesmal liegt die Sache gar nicht so anders. Der Zeitpunkt der Trennung kommt nicht überraschend, denn wenn man sich noch etwas von einem Trainerwechsel in diesem Jahr verspricht, dann sicherlich jetzt in der Länderspielpause. Trotzdem hatte ich keinen vorgefertigten Sandro-Abschiedstext in der Schublade liegen, da ich bis zuletzt davon ausgegangen bin, dass es vielleicht doch einen anderen Weg gibt. Denn die Mechanismen der Branche hätten sicherlich in fast jedem anderen Verein wahrscheinlich schon im Februar 2018 nach den Doppelpleiten gegen die Eintracht und dem Spiel in Hoffenheim gegriffen und in dieser Saison spätestens nach dem Bayern-Spiel: Gegen einen strauchelnden Drittligisten im Pokal raus. Niederlagen gegen die damaligen Nicht-Übermannschaften Freiburg und Gladbach und dann das 1:6 im Stadion am Kurt-Landauer-Weg. Die Mechanismen griffen wie damals bei Martin aber nicht. Wieso? Weil wir Rouven Schröder haben!
Denn wie bei der Trennung von Martin hilft auch hier hilft ein Blick zurück in die Vergangenheit von Mainz 05. „Anders als in Köln 2008, als Kloppo mit seiner bizarren Aufstellung sein Ende mehr oder weniger selbst einläutete, auch anders als Tuchel sein Ende einfach selbst forciert hatte, wurde hier in aller Ruhe analysiert und ein Schlussstrich zur richtigen Zeit gezogen. Während die beiden ersten Trainerikonen also ihr Schicksal mehr oder weniger selbst bestimmten und das unter unserem Managergott, wurde hier in aller Ruhe analysiert und gemeinsam ein Weg gefunden, das Gesicht zu wahren.“
Dieses Zitat stammt aus meinem Text zu Martin Schmidt, ist aber in vielen Teilen auf die aktuelle Situation zu übertragen. Der große Unterschied zwischen Martin und Sandro: Letzterer hatte noch weniger Kredit bei vielen Fans als der Schweizer Tuchel-Zögling. Beide, Martin wie Sandro, haben sich viele Verdienste bei uns im Nachwuchsbereich erworben. Aber der Abstieg der U23, von Sandro damals trainiert, begleitete ihn wie ein Stigma durch seine Zeit als Cheftrainer. Dass es in der 3. Liga extrem schwer ist, mit einer Ausbildungsmannschaft die Klasse zu halten, haben praktisch alle U23-Teams der großen Vereine bewiesen. Aktuell dümpelt lediglich Bayern II in der 3. Liga herum. Alle anderen U23-Teams spielen 4. oder 5. Liga (oder gar nicht mehr). Ein David Wagner stieg mit der U23 von Borussia Dortmund ebenfalls in Liga 4 ab. Trotzdem wurde er danach Trainer in der Premier League und trainiert aktuell den 6. in der 1. Liga – komisch das, oder?
Ich persönlich möchte mich bei Sandro bedanken. Für seine ehrliche, offene Art. Für seine Unaufgeregtheit, was die ganze Branche betrifft. Für die Einstellung, dass es wichtigeres gibt, als Fußball. Für das Gefühl, das ich immer hatte, dass es einen spielerischen Ansatz gibt (auch wenn das teilweise nur minutenweise auf dem Platz zu sehen war) und natürlich für die letzten Spiele der vergangenen Saison inklusive des Spiels am Nebenfluss.
Das Problem bei der aktuellen Konstellation war vielleicht der diametral unterschiedliche Ansatz, Verein und Stadt betreffend, was die Personen auf dem Spielfeld und am Rand betrifft. Auf der einen Seite ein Trainer, der in Mainz geboren ist, mit der 17 in die Schule über die Theodor-Heuß-Brücke fuhr und schon als Kind nuff gegangen ist. Auf der anderen Seite Spieler, die bis auf Robin und Ridle nicht wirklich wissen, was Mainz 05 ausmacht; die diesen Verein als einen Schritt in ihrer Karriere ansehen – nicht weniger aber auch nicht mehr.
Was bleibt? Mainz bleibt: sich treu – rund um die 5. Jahreszeit wurde schon mal eine Trainer-Entscheidung getroffen, die sich im Nachhinein als ziemlich gut erwiesen hatte – hoffen wir, dass es auch dieses Mal so ist!
Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag
eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive
Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser
Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige
Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Dass es für mich mit der Bahn aufs Auswärtsspiel ging, ist ja mittlerweile keine wirkliche Überraschung mehr. Dass die Fahrt problemlos ablief auch nicht – zumindest für Vielfahrer*innen. Schließlich ist das Fahren mit der Bahn im Durchschnitt wesentlich angenehmer als das mit dem Auto oder dem Bus. Denn im Zug kann man z.B. wie letztes Mal Podcasts zur OB-Wahl hören. Nach der OB-Stichwahl am kommenden Sonntag steht direkt das nächste Ereignis an. Klar, der 11.11.! Aber auch der 15.11. ist mittlerweile ein wichtiger Tag in der Stadt des Buchdrucks: der bundesweite Vorlesetag, der bei uns unter dem Motto „Mainz liest bunt“ und dem diesjährigen Thema „Geschichten von unterwegs“ steht.
Da ich ja das eine oder andere Mal unsere Stadt auch dann verlasse, wenn es nicht gerade zum nächsten 05er-Auswärtsspiel geht, darf ich in diesem Jahr sowohl bei den „05er Classics“ als auch auf der Mainzer Büchermesse aus meinen beiden Büchern vorlesen. Hier kommt nun wieder die Bahn ins Spiel, denn solche Lesungen müssen natürlich vorbereitet werden. Da bot sich die Bahnfahrt nach Leipzig perfekt an, denn anders als im Auto kann man normalerweise beim Bahnfahren gut an Präsentationen feilen. Ob sich das Ergebnis sehen lassen kann, sollen die Gäste beurteilen, die auf meinen beiden Lesungen vorbeischauen. Vielleicht sehen wir uns ja – es würde mich sehr freuen.
02 (N)immer nuff:
Leipzig ist seit jeher Straßenbahnstadt. Mit zahlreichen Linien geht es in Richtung Zentralstadion. Anders als in Mainz hat jede Bahn einen Fahrkartenautomaten an Bord. An sich ist das eine gute Idee, aber leider nehmen die Dinger keine Scheine, keine EC- und keine Kreditkarte – nur eine Leipzig Card, ach so und Münzen natürlich auch. Wenn man allerdings ein 24-Stunden-Ticket für zwei Personen kaufen möchte, das an sich mit elf Euro irgendwas recht günstig ist, dann wird es etwas blöd, sofern man keinen Haufen Eurostücke dabei hat.
Da denke ich sehnsüchtig an Länder wie Kenia, in denen man mit dem Mobiltelefon so ziemlich alles bargeldlos kaufen kann. Aber gut, wir befinden uns halt nicht Mitten im innovativen Afrika, sondern in Mitteleuropa…
03 Kon-Trolle
Dass viele Fußball-Fans ein Problem mit RB haben, ist seit Jahren bekannt. Dass die so genannte Vereinsstruktur von RB, bei der nur eine Handvoll Menschen auserkorene „Mitglieder“ sind und die Geschehnisse rund um den „Verein“ bestimmen, ist ebenfalls kein Geheimnis. Nun kann RB wegen mir im Innenleben tun und lassen, was es möchte. Allerdings dreht sich zumindest außerhalb der RB-Welt nicht alles um die Brause und ihr Verständnis von Vielfältigkeit, Mitbestimmung und Demokratie. Daher müsste sich meiner Meinung nach RB an gewisse Mindeststandards halten, was Meinungsfreiheit angeht – nicht nur, aber gerade auch dann, wenn klar ersichtlich ist, dass es um Standpunkte geht, die mit RB gar nichts zu tun haben. Im konkreten Fall ging es am Samstagnachmittag um das „Videobeweis abschaffen“ Banner der Fanszene, das bei der Einlasskontrolle entdeckt wurde.
Dieses Banner durfte nicht mit ins Stadion genommen werden. Es gab noch weitere Schikanen, die in anderen Stadien so nicht Alltag sind, aber das nur am Rande. Natürlich haben RB und die Stadt Leipzig nicht wirklich etwas gemeinsam, denn der Standort „Leipzig“ wurde aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gewählt – so wie es bei jeder Firma Usus ist. Trotzdem sollte man sich bei RB der Tradition der Stadt Leipzig bewusst sein, für die die Stadt seit 30 Jahren steht. In vielen Ecken der Stadt wird an die „Friedliche Revolution“ 1989 erinnert. Damals ging es auch um Meinungsfreiheit. Diese wurde am Samstag mit Füßen getreten.
Anders ist es mir als Einzelperson ergangen. Mein Buch „Zu Gast – In vielen Ecken dieser Welt“ durfte ich mit ins Stadion nehmen, um es einem interessierten Fan dort zu übergeben. Hier fiel mir nachkicks ein, dass ich eigentlich wie 1995 bei der Einreise nach Malawi Angst hätte haben müssen, als damals mein Lonely Planet „Africa on a shoestring“ von den Zöllnern bei der Einreise konfisziert hätte werden können, da in diesem Reisebuch der damalige Autokrat massiv von den Autoren kritisiert wurde und das Buch deshalb auf dem Index stand. In meinem zweiten Buch geht es zwar hauptsächlich um Reisen ohne Fußball, aber die Auswärtsfahrt mit unserer U23 zum 1. FC Magdeburg schaffte es hinein. Und wegen der geographischen Nähe Magdeburgs zu Leipzig und dem diametralen Verständnis von Fußball findet sich ein kleiner Einwurf zu RB in diesem Kapitel. Wäre mein Buch nun ein Standardwerk und hätte es jemand von RB gelesen – es hätte vielleicht auch Stadionverbot bekommen…obwohl ich nur vom modernen Fußball schrieb, der 128 km südöstlich von Magdeburg da gerade „aufbraust“.
04 Kampf um den Mampf
Das große Angebot an Speisen und Getränken im Zentralstadion, die Möglichkeit mit Bargeld oder mit Karte zu zahlen – all das ist sehr fanfreundlich. Es ist aber auch schlicht und einfach konsum- und kundenfreundlich und sorgt dafür, den Umsatz zu steigern. Betrachtet man das generelle Handeln von RB, so ist klar ersichtlich, dass diese Fanfreundlichkeit ein Nebeneffekt und kein Selbstzweck ist. Schließlich bildet der gemeine Fußballfan der Gastmannschaft am Spieltag eine Zielgruppe, die es gilt, zu bedienen, um Umsatz und Gewinn zu steigern. Alles andere ist bloßes Beiwerk und wird den wirklich wichtigen Unternehmenskennzahlen untergeordnet.
Wie bereits oben ausgeführt, sollte man immer zwischen RB und der Stadt Leipzig trennen. Denn das Essen und Trinken abseits des Zentralstadions ist auf jeden Fall eine kulinarische Reise wert. Über die Gose habe ich mich ja bereits bei der letztjährigen Spätlese Leipzig ausgelassen. Aber Gose geht natürlich immer – und das am besten im Rahmen einer Bierprobe, bei der man den säuerlichen Geschmack dieses Gerstensafts noch besser erkennt, wenn gleichzeitig Kellerbier, Schwarzbier und Hefeweizen kredenzt werden.
05 Käfighaltung
In Leipzig gibt es per se keine Stehplätze im Gästeblock. Der Gastbereich bietet eine gute Sicht auf das Geschehen. Zum Anpfiff waren allerdings nur wenige Sitze belegt, da sich zu diesem Zeitpunkt ein Teil der Fans noch an der Kontrolle befand, um das Banner hineinzubekommen. Manche Leute wünschen sich ja, dass Ultras und ultranahe Fans am besten gar nicht mehr im Stadion auftauchen. Einen Vorgeschmack auf ein solches Szenario bot sich in den ersten Minuten des Spiels. Der riesige Block war mit Grüppchen, einem Flickenteppich ähnlich, durchsetzt. Ab und zu versuchte jemand ein „FSV“ anzustimmen – mit extrem begrenztem Erfolg. 05-Fähnchen waren ab und zu zu sehen und das einzige Banner, was hing, war das der „Meenzer Metzger“. Über dem gesamten Block lag gefühlt eine meterdicke Schicht Mehltau.
Für den neutralen Fußballfan war dieses Spiel sicherlich beste Unterhaltung, zumal die Nullfünfer bis zum zweiten Tor von RB durchaus mithalten konnten. Um am Sonntag nicht mehr permanent an rote Bullen denken zu müssen, verschlug es uns in den Leipziger Zoo, der als einer der besten weltweit gilt. Seit meinen jüngsten Reisen nach Afrika 2017 und 2018 versuche ich zwei Projekte in Sierra Leone und Kenia mit dem Verkauf meiner Bücher, der Meenzer-on-Tour-Turnbeutel und –Soulbottles zu unterstützen. Gleichzeitig war ich neugierig, was der Leipziger Zoo tut, um Tierbestände zu erhalten. Viele Projekte werden wirklich wunderbar unterstützt, aber trotzdem sieht man Pelikane und Flamingos, die nicht fliegen können. Warum ein Zoo, der sich für die Artenvielfalt einsetzt, Tieren die Flügel so manipuliert, dass sie nicht mehr wegfliegen können, macht mich etwas ratlos. Allerdings stellt sich diese Frage auch bei unseren Flamingos im Stadtpark. Natürlich ist es schön, diese Tiere zu beobachten. Sie sollten allerdings nicht dafür leiden müssen. Daher ist es für mich umso wichtiger, Projekte wie das Schimpansen-Heim Tacugama und das Elefanten-Waisenhaus Sheldrick Wildlife Trust zu unterstützen. Hier müssen keine Tiere leiden, um anderen Tieren das Überleben zu ermöglichen. Etwaige Spenden, die ich im Rahmen der o.g. Lesungen erziele, fließen übrigens direkt an diese beiden Organisationen oder an „Helfende Hände für Nepal Mainz e.V.“, die dritte Organisation, die ich besucht habe und seither unterstütze.
Nach dem ersten Treffer traf dann der Teil der Fans ein, die zuvor vergeblich versucht hatten, das Videobeweisbanner mit in den Block zu nehmen. Ironie der Geschichte: Die peniblen Kontrolleure schafften es dennoch nicht, die Meinungsfreiheit komplett zu unterbinden. So wurden am unteren Teil des Blocks ausgerechnet zwei Spruchbänder bis zum Schlusspfiff präsentiert, die tatsächlich RB-kritisch waren und die sich mit dem Verbot von Tifo-Material beschäftigten.
Man kann der Meinung sein, dass eine Fangruppe es als Priorität anzusehen hat, den Verein zu unterstützen und sich durch diese Scharmützel nicht davon abhalten lassen sollte, die Mannschaft zu supporten. Leute, die diese Meinung vertreten, sind allerdings auch oft der Auffassung, dass Ultras aus dem Stadion rausgeschmissen gehören, da sie sich angeblich nur selbst abfeiern würden.
Wir alle, egal ob Ultra, Normalo, Kutte oder wer auch immer, fährt immer noch freiwillig stundenlang durch die Republik. In der Stadionordnung steht nichts von einer Support-Pflicht. Wenn man also lieber 90 Minuten ein Spruchband hochhält und nicht singend und fahnenschwenkend das Spiel als Beiwerk begleitet, dann ist das das gute Recht jedes einzelnen Menschen, dies zu tun. Wenn am kommenden Samstag im Heimspiel der Q-Block wieder supportwillig ist, freut mich das sehr – man darf dies allerdings nie als selbstverständlich ansehen. Und Fans sind vieles nur nicht Duracell-Häschen, die auf Kommando von wem auch immer „Stimmung machen“ – auch wenn sich so das Produkt Fußball natürlich noch so viel besser vermarkten ließe.
Fazit: Der Jahrgang 2019/2020 besticht durch die von FumS aufgestellte These, dass „RB Prügel verteilt“ – Zielgruppe dieser war am Samstag die Meinungsfreiheit von Fußballfans.