Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Der dritte weltweite Streik fürs Klima ist zwei Wochen rum, aber ich versuche immer noch mit der Bahn zum Auswärtsspiel zu gelangen. Das hat allen Unkenrufen zum Trotz in den letzten 15 Jahren auswärts fahren auch immer funktioniert. Basis dafür ist erstens einen Puffer von ein bis zwei Stunden vorkicks einzuplanen und zweitens seine Rechte als Bahnfahrer*in zu kennen. Beides war am Samstag mal notwendig: Am Fernbahnhof in Frankfurt sollte mein ICE Richtung Köln zunächst fünf Minuten Verspätung haben. Diese vervierfachten sich plötzlich auf 20 Minuten. Zur gleichen Zeit traf am Nachbargleis ein weiterer ICE pünktlich ein, der ebenfalls nach NRW fuhr. Um mit der Bahn möglichst günstig durchs Land zu düsen gibt’s zum Glück den Sparpreis, der allerdings eine Zugbindung einschließt. Diese wird erst aufgehoben, wenn der Zug mehr als 20 Minuten Verspätung hat. Da ich in Köln allerdings nur elf Minuten Zeit zum Umsteigen in Richtung Hamm hatte, wäre mein Anschluss ohnehin weg gewesen. Daher rannte ich zum anderen ICE rüber und fragte, ob ich einsteigen dürfe.
„Nein“ war die barsche Antwort des Schaffners. „Erst ab 25 Minuten Verspätung!“. Auf meinen Einwand hin, dass ich in Köln aber meinen Anschluss verpassen würde, zuckte er nur genervt mit den Schultern. Zum Glück lohnt es sich, bei der Bahn App auf „Refresh“ zu klicken. Einige Augenblicke bevor die Türen des ICEs geschlossen werden sollten, stand plötzlich in der App „Fahrt fällt aus!“. Über einen gestrichenen Zug habe ich mich wohl noch nie so gefreut, wie an diesem Samstag Morgen. Rein in den anderen ICE, der Schaffner war nun plötzlich handzahm und es ging problemlos direkt nach Dortmund Hbf. – auch wenn die Beschilderung im ICE kurz vor Dortmund zweisprachig wirr wurde…
Von dort im schnellen Schritt zur Regionalbahn weiter nach Soest (sprich „Sooooost“). Der große Vorteil am auswärts fahren mit der Bahn liegt ja darin, dass man viele Ecken unseres Landes früher oder später kennenlernt. Die Strecke Dortmund – Soest war für mich tatsächlich Neuland, obwohl ich bereits zum dritten Mal nach 2007 und 2014 nach Paderborn fuhr. Und das Schöne bei der Anfahrt nach Paderborn: ein fast leerer Zug in Richtung Bundesliga-Spiel! Kein Vergleich zu überfüllten Zügen rund um Gelsenkirchen, Gladbach oder Dortmund. Der letzte Zug von Soest nach Paderborn füllte sich tatsächlich erst um Salzkotten rum. Je mehr Leute mit blau-schwarzen Schals zustiegen, desto mehr Funklöcher gab es. Trotz Zugausfall war ich dann knapp zwei Stunden vor Anpfiff in Paderborn Hbf. angekommen.
02 (N)immer nuff:
Die nächste Frage, wenn man wie ich, mit Laptop anreist, ist die des Verstauens des Gerümpels vor dem Betreten des Gästeblocks. Den Angaben für Auswärtsfahrer zufolge sollte es möglich sein, seine Taschen gratis vor den Kontrollen abzugeben. Das klappt bei vielen Vereinen mittlerweile ganz gut. Allerdings hatte ich vor Jahren mal eine Tortur und musste ums halbe Stadion rumlaufen, ehe ich meine Tasche vor dem Müngersdorfer Stadion abgeben konnte. Deshalb finde ich das gute alte Schließfach immer ein prima Option, wenn es nicht, wie im Februar geschehen, in Wolfsburg das Schließfach plötzlich noch ein paar Euro möchte, obwohl ich meines Wissens für 24 Stunden vorab gezahlt hatte und ich es in Wolfsburg auch nicht wirklich länger als die 90 plus X Minuten ausgehalten hatte. In manchen Bahnhöfen mit einem hohen Anteil an Heimfans aus der ganzen Republik, wie bspw. in Gladbach, grenzt ein leeres Schließfach schon fast an einen 6er im Lotto – denn die Dinger sind meist Stunden vorher bereits komplett voll. Anders in Paderborn, wo es noch reichlich Auswahl gab. Den Kram rein ins Schließlich und rein in die Stadt. Durch die Verspätung konnte ich mir die angeblich hübsche Altstadt leider nicht mehr wirklich anschauen bzw. setzte dann doch lieber mit „Gustav Grün“ andere Prioritäten kulinarischer Art.
Schließlich war ich seit 8.30 Uhr unterwegs und mittlerweile war es beinahe 14 Uhr. An unseren letzten Auftritt in Paderborn habe ich keine kulinarischen Erinnerungen mehr. Einzig und alleine die Gewissheit, dass es die Fischbrötchen, die 2007 das kulinarische Highlight der Kloppo-Abschiedssaison waren, nicht hinüber ins neue Stadion geschafft hatten – blieb kulinarisch gesehen vom ersten Bundesliga-Spiel in der Geschichte des SC Paderborn von damals hängen.
Daher „Gustav Grün“ – ein ziemlich leckererer vegetarischer und fast komplett veganer Imbiss. Entweder in der Box oder als Rolle gab es drei Salatsorten, dazu insgesamt fünf Toppings, die man sich individuell zusammenstellen konnte. Empfehlenswert waren zwei Humus-Arten aus sechs Varianten und drei Toppings wie bspw. Rote Beete-Bulgur, Mango-Linsen-Curry und eingelegter Blumenkohl, angemacht mit einem Dressing nach Wahl, wie bspw. Joghurt-Minze. Dazu noch ein paar Wedges oben drauf und Brotvariationen zur freien Auswahl. Langweiliges Essen in Ost-Westfalen geht anders! Danach schnell die Straße überquert und rein in den Shuttle-Bus, der auf der anderen Straßenseite startete. Zehn Minuten später war ich auch schon am Stadion angelangt.
03 Kon-Trolle
Da es bei „Gustav Grün“ kein Bier gab, laut Auswärtsinfo von Nullfünf im Gästeblock nur alkoholfreies Bier ausgeschenkt werden würde und ich kein Bock auf Paderborner Tankstellenbier hatte, machte ich mich auf die Suche nach etwas Trinkbarem auf der Heimseite. Gesucht gefunden: Pilger Landbier vom Fass!
Richtig süffig, richtig lecker. Mit dem Pfandbecher ging es dann zur Kontrolle vor dem Gästeblock. Dort ließ man mich mit dem Bier nicht rein – aber auch mit dem leeren Pfandbecher nicht.
Daher ging es dann für mich zurück zur angepriesenen kostenlosen Gepäckaufbewahrung. Diese bestand aus einem abgesperrten Bereich unter freiem Himmel. Ob mein Laptop in seiner Tasche Asteras-Tripolis-Platzregenstärke überstanden hätte, wage ich zu Bezweifeln. Daher war ich froh, dass nur mein Plastik-Pfandbecher dort auf Abholung warten musste. Mit dem Pfandbon in der Hand ging es dann in den Block hinein.
04 Kampf um den Mampf
Statt Fischbrötchen gab es „Manta-Platte“, andere Fleischgerichte, Pommes und Brezeln. Würde es das in jedem Stadion der Republik geben, müsste man sich wohl nie wieder vorkicks irgendwo den Ranzen vollhauen. Und das Bier? Das ost-westfälische Understatement kalkuliert wohl lieber erstmal alkoholfrei.
Schließlich erinnerte man sich wohl auf der Heimseite daran, dass Mainzer und Paderborner spätestens seit 2008, als Klaus Hafner in einer englischen Woche einen Paderborner Fan auf den Rasen des Bruchwegs beordert hatte, um die Aufstellung vor seinen 10 mitgereisten Fans vorzulesen, nie Probleme miteinander hatten.
Und so gab es dann doch Warsteiner vom Fass mit und ohne Alkohol. Und wer mit dem E-Auto gekommen ist, kann die Kiste während dem Spiel auch noch auftanken lassen…läuft!
05 Käfighaltung
Die Benteler-Arena fasst nur 15.000 Zuschauer, ist erst elf Jahre alt und hinter einer riesigen Baustelle entstanden. Alles nicht gerade gute Voraussetzungen, so eine Schüssel wirklich klasse zu finden. Aber ich finde den Paderborner Stil einfach grundsympathisch: nichts Protziges pompös aufbauen, sondern mit ost-westfälischem Understatement etwas Unscheinbares auf die Wiese stellen. Und wer glaubt, dass Mainz 05 gerade eine Zerreißprobe erlebt, dem sei ein Plausch mit Paderbornern empfohlen: Von der ersten Liga ging es 2015 in die zweite, dann 2016 in die dritte, wo sie gegen unsere U23 gespielt haben und fast reif für die Vierte waren und dann wieder in die Zweite und jetzt in die erste Liga. Das ist Berg-und-Tal-Horror für jede Fanseele!
Und dass die Fanszene sich gegen eine Dosen-Kooperation erfolgreich im Sommer gewehrt hat, macht den Aufenthalt in Paderborn noch ein wenig attraktiver.
Fazit: Der Jahrgang 2019/2020 besticht durch gefälliges Understatement und macht die Fahrt nach Ost-Westfalen ergebnisunabhängig zu einem Saisonhighlight.
Rot-weiße Grüße,
Christoph – Meenzer on Tour